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Wir leben in Zeiten des Wandels. Unsere Welt steht vor den größten Herausforderungen ihrer Zeit. Und auch wir Menschen verändern uns. Neu ist, wie wir miteinander kommunizieren, wie wir miteinander arbeiten und diesen Wandel gemeinsam gestalten. Daran schließt sich unmittelbar an, wie wir in unserer Arbeitswelt in Zukunft Führung gestalten. Dr. Chris-Jörg Rosen ist Leiter der Unit Manufacturing Solutions bei Phoenix Contact. Zu Beginn dieser Rolle hat er Büro- gegen Sicherheitsschuhe getauscht und startete zunächst als Praktikant im Werkzeugbau. Eine ungewöhnliche Einarbeitung auf dieser Hierarchiestufe. Wir haben den 40-jährigen Familienvater aus Detmold (NRW) nach seiner Motivation und Eindrücken befragt.

Warum haben Sie im Werkzeugbau ein Praktikum gemacht?

Ich habe mich an meinen Berufseinstieg in die Industrie zurückerinnert. Dort absolvierte ich als Assistent der technischen Geschäftsführung ein zwölfwöchiges Praktikum in allen Unternehmensbereichen. Das war von großem Wert für mich, da ich Einblick in den Arbeitsalltag bekam und zeitgleich ein persönliches Netzwerk aufbauen konnte. Darüber hinaus brauche ich einfach das inhaltliche Verständnis. Auch in meiner neuen Rolle ist mir das wichtig, um fachlich mitdenken zu können und authentisch mit meinen Mitarbeitenden zu kommunizieren. Auch wenn ich eine Rolle im Management habe: Meine Herkunft ist die Technik und die Operative. Mein zentrales Ziel ist es, Management und direkte Mitarbeitende näher zusammenzubringen. Erster Anlaufpunkt waren für mich die Führungskräfte, um zu erfahren: Was zeichnet aus ihrer Sicht den Bereich aus? Als Zweites wollte ich die Austauschrunden als stiller Gast erleben: Welche Informationen fließen in welchen Runden, wie gehen die Leute miteinander um? Ich habe mich zu jedem dieser Termine optional einladen lassen und viele Fragen gestellt. Insbesondere bei „interessanten“ Themen bitte ich darum, hinzugezogen zu werden. Das sind immer die Dinge, die nicht glattlaufen, da kann man am meisten lernen, egal ob Management, Projekt oder Werkstatt.

Wie haben die Mitarbeitenden reagiert, als ihr Chef plötzlich den ersten Tag im Praktikum neben ihnen stand?

Sehr positiv und offen. Überall bin ich sehr freundlich empfangen worden. Anfänglich musste ich gerade bei den praktischen Themen darauf drängen, auch selbst an Werkzeug und Werkstück arbeiten zu dürfen. Doch schließlich wurde ich schnell in die Abläufe eingewiesen und konnte mich auch praktisch betätigen. Das war auf der einen Seite für meine Kolleginnen und Kollegen etwas unerwartet, aber am Ende hat es viel Spaß gemacht und die Mitarbeitenden haben mir ein positives Feedback gegeben. Auch die Teilnahme an Regelterminen war ein Türöffner. Dabei haben alle schnell gemerkt, dass der Umgang mit mir unkompliziert ist. Oft bin ich einfach im Shopfloor mitgegangen und konnte dann direkt Fragen stellen. Meist sind daraus Folgetermine entstanden, bei denen ich viele Dinge im Detail mit den Kolleginnen und Kollegen direkt besprechen konnte. Das Feedback war auch hier insgesamt positiv und ich würde es wieder so machen. Mittlerweile ist es keine Überraschung mehr, wenn ich persönlich am Arbeitsplatz auftauche, an den Regelterminen im Shopfloor oder an den Teams-Besprechungen teilnehme.

Was bedeutet für Sie gute Führung?

Entscheidungen von Führungskräften haben große Tragweite, deshalb ist mir als Erstes Qualität bei den Entscheidungsmechanismen so wichtig. Die Themen sind häufig komplex und oft gerät man als Führungskraft in Versuchung, etwas möglichst schnell lösen zu wollen, um dann das nächste Thema anzugehen. Dabei vernachlässigt man mitunter relevante Perspektiven. Die eigene Meinung und Haltung auch mal auf den Prüfstand zu stellen, ist dann ein wichtiger Schritt. Das geht am besten mit den Kolleginnen und Kollegen und auf der Grundlage eines vertrauensvollen Umgangs miteinander, wo man Meinungen austauschen und aushalten kann. Um die eigenen Ideen und Perspektiven zu hinterfragen und zu erweitern, sind Austausch und Kommunikation auf Augenhöhe die Schlüssel. Deshalb ist mir als Zweites wichtig, dass wir als neues Führungsteam der Unit zusammenwachsen. Das ist überraschend schnell gelungen. Wir ziehen an einem Strang und versuchen die Manufacturing Solutions als globales Netzwerk weltweit über die nächsten zehn Jahre hinaus zu entwickeln. Diese grundsätzlich offene und kooperative Zusammenarbeit in meinem direkten Führungsteam möchte ich auch in der gesamten Unit etablieren. Als Drittes gilt: Wer führen will, muss präsent sein. Führungskräfte sind für die Mitarbeitenden da. Es gilt, diese zu fordern und zu fördern, einen Rahmen zu bauen, in dem die Mitarbeitenden sich entfalten und ihre Ziele besser erreichen können. Diese Ziele sind identisch mit denjenigen der Führungskräfte. Eine möglichst direkte und offene Kommunikation auf Augenhöhe, persönliche Authentizität und der Wille, sein Gegenüber überzeugen zu wollen, sind Voraussetzungen für die vierte Säule, die es zu etablieren gilt: Mehr eigenverantwortliches Entscheiden und Handeln im Sinne des gemeinsamen Projekt- und Unternehmenserfolgs. Letzteres geht wiederum nur, wenn wir als Führungsteam Entscheidungsmechanismen vorleben und transparent machen. Handeln Mitarbeitende nach diesen Mechanismen, so können sie sich der Unterstützung der Führungskräfte sicher sein, insbesondere dann, wenn etwas schiefgeht. Das gehört in unserem Geschäft nun Mal dazu.

Dr. Chris-Jörg Rosen
Dr. Chris-Jörg Rosen

Wie möchten Sie als Führungskraft von Ihren Mitarbeitenden wahrgenommen werden?

Überhaupt wahrgenommen zu werden, ist hier das erste Ziel: Wo es nur geht kommuniziere ich gerne selbst, insbesondere bei übergreifenden Themen und dann möglichst direkt in der Breite an die gesamte Mannschaft. Persönlich versuche ich, neben meinen strategischen und operativen Aufgaben auch als Sparringspartner bei individuellen Herausforderungen in Projekten zu unterstützen, sofern dies gewollt ist und eingefordert wird. Dann können sich Mitarbeitende und Kolleginnen und Kollegen aus dem Führungsteam darauf verlassen, dass ich ins Detail gehe und versuche, einen Beitrag in der Analyse oder der Lösungsfindung zu leisten. Dabei erwarte ich jedoch auch maximale Vorleistung und Eigenverantwortlichkeit. Ich will also im Kern verstehen, wo und warum genau wir nicht weiterkommen. Dann hänge ich mich gern persönlich voll rein. Gemeinsam an der Wissensgrenze zu arbeiten, Entscheidungen unter Risiken vorzubereiten und zu treffen, das macht Projektarbeit im Team doch aus! Dabei wächst man zusammen. Dieser absolute Wille gemeinsam das Ziel zu erreichen, das steckt an! Das möchte ich als Führungskraft auch selbst vermitteln. Und das geht nur, wenn man auch aktiv daran teilnimmt. Neben den oben genannten Punkten guter Führung möchte ich persönlich für meine Mitarbeitenden berechenbar sein, in der Art wie ich agiere, welche Fragen ich stelle, wie ich Entscheidungen vorbereite und treffe. Das schafft Transparenz, Verlässlichkeit und die Basis für Vertrauen. Als Führungskraft das Vertrauen seiner Mitarbeitenden zu haben ist schließlich der wichtigste Baustein.

Sie haben im Ausland studiert und waren eine Zeit lang dort unter anderem für die Produktion zuständig – was fließt von Ihrer internationalen Erfahrung in Ihre Führung mit ein?

Der Umgang mit fremden Kulturen ist eine enorm wichtige Erfahrung. In meiner Zeit in China während des Studiums habe ich diese neue Umgebung sehr genossen und als bereichernd empfunden. Später im Berufsleben als Verantwortlicher für die Auslandsproduktion in Brasilien, Indien und China konnte ich daran anknüpfen. In China ist es zum Beispiel essenziell, seinem Gegenüber stets die Möglichkeit zu bieten, sein Gesicht zu wahren. Andere Wege zuzulassen und sich eher zu dem gemeinsamen Ziel zu verpflichten, ist hier der beste Weg. In Indien und Brasilien reicht das mitunter nicht, hier muss man präsent sein und intensiver begleiten. Als sehr direkter und offener Mensch habe ich mich anfangs schwergetan. Mittlerweile habe ich gelernt: In der Sache durchaus geradlinig, zur Person immer wertschätzend. Und manchmal ist der Kompromiss die beste (Zwischen-) Lösung! Mit den Menschen zu arbeiten, ein ehrliches Interesse an ihnen und den Herausforderungen vor Ort zu haben und schließlich die Lösung mitzugestalten, das war auch im internationalen Kontext immer ein Katalysator. Unsere internationalen Standorte möchten autonom managen und agieren. Das ist nicht nur ein Geheimnis des internationalen Erfolgs von Phoenix Contact über die letzten Jahre. Es ist auch berechtigt und wichtig, um hier auch zukünftig erfolgreich zu sein.

Welches größtes „Aha-Erlebnis“ nehmen Sie aus Ihrem Praktikum in Ihren Arbeitsalltag mit?

Die wichtigste Erkenntnis war, woher die Komplexität im Spritzgießwerkzeugbau kommt. Das war für mich trotz der technischen Erfahrung aus dem Maschinenbau sehr wertvoll. Alles beginnt mit dem Artikel-Design und endet stets mit der Kombination aus verschiedenen Schwerpunktfeldern: Füllverhalten, temperatur- und geometrieabhängige Schwindung des Kunststoffs, Entformbarkeit, Prozessstabilität, Verschleißmechanismen … in seiner Gesamtheit ist die Komplexität enorm groß. Die Entlüftung in einem Werkzeug zum Beispiel muss dermaßen austariert sein, dass im Artikel weder Grat (Entlüftung zu groß) noch Verbrenner entstehen (zu dicht). Trotzdem kann es neben Grat und Verbrennern zu Unterspritzungen kommen oder zu Füllgradunterschieden bei der bisweilen sehr hohen Anzahl an Kavitäten bei unseren Werkzeugen mit negativen Auswirkungen in der Maßhaltigkeit. Heißkanaltechnik, also den Kunststoff bis zu der letzten Unterverteilung im Werkzeug in seiner Temperatur und damit seinem Fließverhalten zu regeln, ist hier mittlerweile eine etablierte und doch aufwendige und teure Lösung. Eine Besonderheit in unserer Industrie ist der Einsatz von Additiven zur Reduzierung der Entflammbarkeit im Kunststoff. Im Spritzgießprozess bei den hohen Verarbeitungstemperaturen entstehen neben zusätzlichen Ausgasungen, welche die Entlüftung beeinflussen, auch chemisch ätzende Säuren, die dann zusammen mit einem hohen Glasfaseranteil im Kunststoff einen starken Verschleiß in Zuführung und Werkzeug bewirken. Am Ende entsteht ein Bauteil, welches größter geometrischer Maßhaltigkeit bei minimalen Toleranzen entspricht und gleichzeitig in einem wirtschaftlichen Serienprozess in höchster Stückzahl hergestellt wird. Das größte Aha-Erlebnis ist die Erkenntnis: Durch die Kombination aus Spritzgießwerkzeug und -prozess ist man im Werkzeugbau immer „All In!“ Erst nachdem das Werkzeug tatsächlich fertig ist und man das erste Mal fallende Teile hat, weiß man, wie weit man noch vom Ziel weg ist. Und das anschließende Feintrimmen von Werkzeugen zur Beeinflussung der oben genannten Punkte ist eine Kunst für sich. Für den Gesamterfolg ist jedoch der Qualitätsstandard entscheidend. Dieser ist meiner Ansicht nach auch ab und an zu hoch, denn nicht jeder Grat ist relevant für die Optik, die Funktion oder die Montage. Hier müssen wir gemeinsam mit unseren Partnern aus den Business Units den für Phoenix Contact besten Kompromiss finden.

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