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2015 steckte Julia Wild in einer seelischen und psychischen Schieflage – so drückt die Mitarbeiterin im Vertriebsmarketing es selber aus. Damals hat sie die Warnzeichen ihres Körpers frühzeitig erkannt und sich professionelle Hilfe gesucht. Sie hat gelernt, mehr auf ihr eigenes „Ich“ zu hören und ihre Bedürfnisse zu beherzigen. Und sie geht damit offen um. Ihr Weg macht Mut und zeigt: Mit Unterstützung und gegenseitigem Verständnis lassen sich Krisen bewältigen. Im ersten Teil dieses Interviews erzählt Julia Wild von den Anfängen ihrer persönlichen Krise, ihrem Heilungsprozess und ihrem Austausch mit Phoenix Contact.

Wie hast du bemerkt, dass du in einer persönlichen Krise steckst?

Julia Wild: Die ersten Anzeichen konnte ich nicht sofort einordnen: Kopfschmerzen, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Anspannung. Ich hatte wenig Lust mich zu verabreden und reagierte schnell sehr gereizt. Und ich konnte mich nicht mehr wirklich freuen. 
Mein Herzenswunsch z. B. war immer einen Hund zu haben. 2015 zog dann mein Traumhund bei uns ein: ein Rauhaardackel. Einerseits logisch, dass man mit einem Welpen auch Stress empfindet. Anderseits kam null Freude auf. Ich habe mich wie in einer Dauerstressschleife gefühlt.

Wann wurde dir klar, dass du etwas gegen diese Symptome unternehmen musst? 

Julia Wild: Ende 2015 waren wir mit dem Hund ein paar Tage an der Ostsee. Ich habe überhaupt nicht schlafen können, hatte Herzrasen und mir war permanent schwindelig. Ich habe noch von dort aus meinen Hausarzt angerufen und gesagt: „Mit mir stimmt was nicht. Ich habe ein paar Auffälligkeiten, über die ich sprechen möchte.“ Wir sind dann einen Tag früher abgefahren und noch am selben Abend hatte ich den Arzttermin.

Wie lautete die Diagnose?

Julia Wild: Ich habe ihm die ganzen Beschwerden geschildert und was die letzten Wochen mit mir los war. Ich mag dieses Wort Burnout nicht. Und auch mein Arzt distanziert sich von der Begrifflichkeit. Wir haben es als Erschöpfungsdepression, depressive Phase oder Krise festgehalten. Ich habe trotzdem die Worte: „Ich fühle mich wie ausgebrannt, wie leer, da brennt nichts mehr in mir“ gewählt. 

Was hat der Arzt dann verordnet?

Julia Wild: Ich war knapp drei Wochen krankgeschrieben. Wir haben an dem Abend im Gespräch festgestellt, dass Medikamente für mich nicht der erste Ansatz sind. Auch gibt es Menschen, die bei einem Zusammenbruch in eine Klinik eingewiesen werden müssen. Das hat mein Arzt beides nicht bei mir gesehen. Er wollte den parallelen Weg probieren und hat mir eine Gesprächstherapie empfohlen.

Konntest du in den ersten Wochen der Krankschreibung schon Besserung spüren?

Julia Wild: Ja, ich kann sagen, dass das Erkennen der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung war. 

Wie bist du mit der Erkrankung kommunikativ umgegangen?

Julia Wild: Im beruflichen Kontext habe ich meine Führungskraft von Anfang an mit eingebunden. Wir haben immer ein offenes Ohr und ein gutes persönliches Verhältnis. Ich war sehr ehrlich, auch meinem Team gegenüber. Ich habe mitgeteilt, warum ich krankgeschrieben bin und wie ich mich einschätze. Eine sehr enge Kollegin hat mich im Namen des ganzen Teams besucht, mit einem Blumenstrauß und einer Zeitung. Ich hatte also schon direkten Kontakt und habe ganz viel darüber gesprochen. 
Auch im privaten Bereich hat sich einiges verändert, für das sonst wenig Zeit blieb. Ich habe Freunde zum Kaffee eingeladen und hatte endlich Zeit für den Hund, wir sind dreimal am Tag raus. Ich hatte einen total strukturierten Alltag und war aktiv. Und ich war dazu telefonisch auf Therapeutensuche und habe viel recherchiert. 

Julia Wild mit Hündin Lotta
Julia Wild mit Hündin Lotta

Wie war damals insgesamt der Umgang mit der Situation bei Phoenix Contact?

Julia Wild: Meine Führungskraft, Anica Stuke, hat mich ganz toll unterstützt. Ich wusste ja, es sind eher meine eigenen Verhaltensmuster, an denen ich etwas verändern möchte.  Wenn man mit solchen Erkenntnissen auf die Kollegen und Vorgesetzten zugeht, was kann daran falsch sein? Wir alle leiden unter ganz vielen Rahmenbedingungen. Indem ich es selber angegangen bin, konnten andere davon lernen. Bei einigen ist dann auch die Scheu gefallen und sie haben von sich erzählt.

Wann ging deine Therapie los?

Julia Wild: Ab dem Sommer 2016. Parallel habe ich mich mit mir und Verhaltensmustern beschäftigt. Ein Beispiel: Meine Mutter war 48 Jahre lang berufstätig. Sie hat immer alles alleine geschafft, ohne externe Hilfe. Mein Glaubenssatz lautete immer, dass ich natürlich auch alles alleine schaffen muss. Ich bin dann zu der Erkenntnis gelangt: „Warum halte ich an so vielen Prinzipien fest, die gar nicht in mein Leben, geschweige denn zu mir passen?“ So etwas habe ich für mich überprüft. Und dann habe ich mich von vielen stillen Aufträgen und Glaubenssätzen verabschiedet.

Hat dir das beim Start der Gesprächstherapie geholfen?

Julia Wild: Ja, das hat mir sehr geholfen. Inhaltlich klopft man erstmal alles ab und schaut sich typische Verhaltensmuster an. Zum einen: Was hat akut zu dieser Situation geführt? Zum anderen: Wie bist du? Es geht darum, Frieden mit Dingen zu schließen. Auch der Umgang mit Krisensituationen wird behandelt. Dieser Prozess hat mir gezeigt, wann ich mich zurückziehen kann. Zum Schluss habe ich eher Situationen aus dem Alltag mitgebracht, wie aus der Partnerschaft, der Mutter-Kind-Konstellation oder der Beziehung zu meinen Eltern. 

Wie hat dir die Gesprächstherapie geholfen, mit schwierigen Situationen umzugehen?

Julia Wild: Die kognitive Verhaltenstherapie ist ein Werkzeugkoffer, der erstmal allgemein ist und dann angepasst wird. Es geht viel um Hilfe zur Selbsthilfe, um das Erlernen von Skills. Die Therapeutin hat mich in frühere Kindssituationen hineinversetzt und mir gezielte Fragen gestellt. Ich saß mit geschlossenen Augen da und habe erzählt. So kommt man dann selbst zu Erkenntnissen und Lösungen. Dadurch bewertete ich Themen neu und beschäftigte mich mit Fragen wie: „Welche Vision habe ich? Was ist mein Lebensthema? Für welches Thema brenne ich?“ Natürlich gab mir die Therapeutin auch Literatur an die Hand.

Anfang 2017 ging es bei dir in die nächste Phase, mit einem Präventionsprogramm. Wie lief das ab?

Julia Wild: Das Präventionsprogramm der GUSI-Akademie ist auch bei Phoenix Contact bekannt. Das Programm ist für Menschen, die besonderen Belastungen ausgesetzt sind oder bereits in einer Krise stecken. Es muss dabei gar nicht um die klassische Belastung durch den Beruf gehen, es können auch Probleme wie zu pflegende Eltern sein. Dann wird geschaut: „Was kann ich tun? Wie schaffe ich mir Ressourcen frei? Was sind meine Glaubenssätze? Welche Energieressourcen habe ich?“ Das Angebot ging über acht Wochen, die Gruppe traf sich jeden Mittwoch. Nach sechs Monaten gab es einen sogenannten „Refresher“-Termin.

Dann sind wir jetzt ungefähr im Sommer 2017, richtig? Was passierte nach dem „Refresher“-Termin?

Julia Wild: Nichts Gravierendes mehr. Die Gespräche mit meiner Therapeutin habe ich schon nach kurzer Zeit in größeren Zeitabständen geführt. Dadurch haben sich die Therapiestunden über einen langen Zeitraum erstreckt. Ich hatte mit 40 Jahren angefangen und war mit 45 fertig. Ich hätte auch schon früher sagen können, dass es mir gut geht und ich ein gutes Rüstzeug an der Hand habe. Nach dem Motto „erfolgreich beendet“. Um die Therapie jedoch offiziell zu beenden, soll man einmal im Quartal kommen. Das habe ich bis zum letzten Jahr im Sommer genossen, wie eine Art Coaching. 
Generell kann ich Innenarbeit, verbunden mit einer Gesprächstherapie, sehr empfehlen. Der Blick von außen durch einen Profi ist extrem hilfreich und wirklich „fertig“ ist man mit sich selbst ja nie.

Im zweiten Teil des Interviews verrät Julia Wild, was sie über psychische Krisen gelernt hat und wie Hilfe von außen aussehen kann, insbesondere im Arbeitsleben. Sie erzählt, worauf sie heute achtet und was sie in ihrer persönlichen Entwicklung dazu gelernt hat. Das Interview lest ihr hier: Aus Krisen wachsen: Offene Kommunikation.

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