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Die einen sitzen hoch über dem Flugfeld im Tower. Die anderen siedeln sich als digitaler Teil der Produktion zwischen ERP-Ebene und Fertigungsanlagen an, um den besten Überblick zu erhalten. Was Fluglotsen und Fabriksteuerung verbindet: Beide verfolgen das Ziel, Kollisionen zu verhindern, Staus zu umgehen und den Betrieb schnell und wirtschaftlich zu machen.

Das Ganze mündet schließlich in Flugrouten auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit durch den effizienteren wie sparsamen Einsatz von Ressourcen. Bei Phoenix Contact heißt der Fluglotse Moryx. Dahinter steht eine selbst entwickelte Software-Lösung, die den gebotenen Durchblick verschafft im Dickicht von Abläufen, Querverbindungen, Abhängigkeiten oder verketteten Prozessen. Das Ganze funktioniert so gut, dass Moryx mittlerweile als eigenständiges Produkt vermarktet wird.

Die Motivation für den Einsatz von Moryx besteht vornehmlich darin, vorhandene Produktionsstrukturen zu verbinden, die bis dato ein eigenständiges Dasein fristen – obwohl gegenseitige Abhängigkeiten herrschen. Moryx verknüpft zum Beispiel unterschiedliche Maschinensteuerungen miteinander und schafft Verbindungen zu übergeordneten Produktionsplanungs- und Wirtschaftssystemen. Die Folge: Der Gesamtverbund lässt sich vollautomatisch einstellen, feinjustieren oder auch umrüsten. Vorgelagert sind kaufmännische Motivationen sowie das generelle Streben, innerhalb der kompletten Wertkette nachhaltiger zu agieren.

Die Eigenschaften von Moryx bringen gerade bei kleinteiligen Produktionen mit schnellen Auftragswechseln sowie kleinen Losgrößen echte Pluspunkte mit sich. Dieses begründet sich aus dramatisch reduzierten Rüstzeiten, flexibler einsetzbaren Produktionsanlagen und einer lückenlosen Produktnachverfolgbarkeit auf Knopfdruck. Moryx ist ebenfalls einsetzbar, um Produktionen aus dem Blickwinkel von Energieeffizienz und ökologischen Fußabdruck zu optimieren.

Kommt es zu Abweichungen vom geplanten Ablauf, stellt Moryx eigenständig neue Weichen im Materialfluss

Der Digitale Zwilling schafft die Grundlage

Zur Verdeutlichung dieses Ansatzes werfen wir einen Blick in die Montage von Elektronikbaugruppen. Typische Teilprozesse sind die Montage von Leiterplatten in einem Gehäuse, das Verlöten von Kontakten darin, regelmäßige elektrische Prüfungen entlang der Fertigungskette sowie eine generelle Abbildung von Varianzen. Die konkreten Ausprägungen eines Produktes in puncto Performance, Farbe und weiteren Spezifikationen sind dabei in einer Produktdatenbank hinterlegt und werden über das Warenwirtschaftssystem an die Fertigung übergeben. Die Grundlage dafür bildet ein digitaler Zwilling, der das gewünschte Produkt in allen Eigenschaften beschreibt, zudem aber auch die notwendigen Fertigungs- und Prüfroutinen beinhaltet. Auch mögliche Toleranzen oder Grenzwerte bei Prüfungen sind mit Blick auf den Ausschuss definiert.

Zum richtigen Zeitpunkt gerüstet

Moryx nutzt diese digitalen Informationen, um eine variabel nutzbare Produktionsanlage für den jeweiligen Auftrag zu konfigurieren beziehungsweise Prozessmodule sinnvoll zu verschalten, sodass am Ende der Auftrag so effizient wie möglich erledigt wird. Dafür ist es nicht mehr notwendig, tiefgreifend auf SPS-Ebene in die einzelnen Steuerungen von Maschinen und Modulen eingreifen zu müssen. Moryx übernimmt die Übergabe der Datensätze und sorgt ebenfalls dafür, dass die einzelnen Fertigungsteilnehmer richtig gerüstet zur Stelle sind. Das offene Softwaresystem sorgt zum Beispiel dafür, dass Werkzeuge in Maschinen just in Time gerüstet werden. Das kann einerseits automatisch erfolgen, wenn ein Modul über diese Funktion verfügt. Anderseits kann Moryx auch über die Werkerassistenz eine Anweisung absetzen, welche Rüstarbeiten per Hand zu erledigen sind oder welche Art der Verpackung für den kommenden Auftrag zu nutzen ist.

Maximale Standardisierung bei der Programmierung

Lutz Steinleger: „Moryx schaut nicht nur zu, sondern greift aktiv ein“
Fotos: Sienk

Auch bei der Programmierung des .NET-basierten Systems setzt Phoenix Contact auf ein hohes Maß an Wiederverwertung. Das Ziel dabei: Die individuellen Bedürfnisse einer Produktion mit standardisierten Programmmodulen abdecken, die sich innerhalb des Frameworks einfach verschalten lassen. „Wir haben bewusst nichts Neues für Moryx entwickelt, sondern setzen mit C# auf eine bekannte objektorientierte Allzwecksprache“, sagt Moryx-Geschäftsleiter Lutz Steinleger.

Die Entscheidung „pro Standard“ hat zur Folge, dass sich aufgrund des hohen Verbreitungsgrades vielfältigste Systeme ohne zeitraubende Anpassungen integrieren lassen. Auch das Arbeiten selbst gestaltet sich im Vergleich zu maschinennahen Sprachen komfortabler. Zudem denken die Programmierer bereits auf Objektebene und damit ein gutes Stück in Richtung verketteter Prozesse. Moryx ist in Summe so einfach zu erlernen, dass Grundwissen ausreicht.

In der praktischen Anwendung werden im digitalen Zwilling alle relevanten Daten für ein herzustellendes Produkt aus unterschiedlichen Quellen zusammengeführt – bis hin zu Informationen, die nur an der Maschine verfügbar sind – beispielsweise Sensordaten. Moryx übernimmt dann die zentrale Datenstelle und managt sämtliche Ereignisse und Querverbindungen. Dieses „Was passiert dann Maschine“ weiß, was in einem Herstellprozess als nächstes ansteht und weiß ebenfalls, welche Maschine in einem Verbund dafür überhaupt zur Verfügung steht. Folglich kommt es zu keinen Staus vor Lötmaschinen, die gerade nicht in Betrieb sind oder Handlingeinheiten, bei denen erst noch der richtige Greifer zu rüsten ist. Moryx ist aufgrund der zur Verfügung stehenden Datenlage jedes einzelnen Produktes aber auch dem Zustand der Maschinen in der Lage, Linienteilnehmer „in-time“ neu zu verbinden und die Weichen für die Werkzeugträger auf den internen Förderbändern entsprechend zu stellen.

Sicher ans Ziel kommen und dabei nicht erst noch stundenlang auf dem Flugfeld auf die Startfreigabe warten: Moryx lässt sich in der Tat treffend mit der Arbeit der Lotsen im Flughafentower vergleichen. „Wir können aber noch mehr“, meint Lutz Steinleger. Während die Lotsen lediglich per Funk Anweisung geben können, ist Moryx in der Lage, direkt die Maschinen auf neuen Kurs zu bringen, Lastspitzen im Auge zu behalten oder den Verbund aus Gründen von Nachhaltigkeitskennzahlen zu optimieren.

Mehr über Moryx und Lutz Steinleger erfahrt ihr auch hier: Prozesse als Komposition betrachten.
Wie eine Gruppe dual Studierender ein Moryx-Starterkit entworfen hat, lest ihr hier: Ein Koffer zeigt es allen.

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