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Präsentationen machen viele von uns nervös. Bei einer Präsentation vor dem CEO wären es vermutlich die meisten von uns – vor allem, wenn man ihn davon überzeugen möchte, den Quellcode von mehreren Jahren Entwicklungsarbeit der Öffentlichkeit kostenlos als Open Source zur Verfügung zu stellen. Wie es dazu kam und wie dieser Termin ablief, erfahrt ihr in diesem Blogbeitrag.

Von der Schulbank zur Shell

Ich habe bei Phoenix Contact damals als Dualer Student für Elektrotechnik angefangen und kam zum Ende meiner Ausbildung in die Technologieentwicklung des Maschinenbaus zur Unterstützung des Software-Teams. Dort habe ich meine Begeisterung für Software-Entwicklung entdeckt und gleichzeitig erkannt, wie wenig ich in dem Bereich eigentlich wusste. Ich habe von den damaligen Kollegen viel gelernt und alles wie ein Schwamm aufgesogen.

Auch privat begann ich, mich mit der Materie zu beschäftigen, und in immer größeren Schritten entwickelte ich mich zum 100%igen Nerd. Es begann mit einem vorsichtigen Linux-Dual-Boot auf dem Laptop und steigerte sich zum lokal optimierten, selbst-kompilierten Linux-Kernel auf einem headless Linux-Server. Wo vorher MMORPGs auf dem Bildschirm flimmerten, vervollständigte jetzt 24/7 die schwarz-weiße Linux-Shell das Bild. Wie Alice im Wunderland drang ich tiefer und tiefer in den Kaninchenbau vor.

Im Bann der Open-Source-Community

Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich letztendlich in der Open-Source-Community landete. Natürlich war mir Open Source schon vorher ein Begriff, aber wie vermutlich die meisten Menschen hatte ich keine Ahnung, wie das eigentlich funktioniert und welche Ausmaße es zu dem Zeitpunkt bereits hatte. Mein Einstieg war damals das AOSP (Android Open Source Project), also die Communities rund um Custom-ROMs für verschiedene androidbasierte Smartphones und Tablets. In so mancher langen Nacht wurde alles modifiziert, was an Geräten in der Wohnung greifbar war.

In der darauffolgenden Zeit lernte ich verschiedene Projekte kennen. Oft als passiver Follower, zunehmend aber auch als Contributor und letztendlich sogar als Maintainer meines eigenen Projekts. Wie bei meinem Einstieg in die Technologieentwicklung war ich plötzlich wieder umgeben von Profis, durch die ich bis heute meine Fähigkeiten weiter ausbauen konnte. Außerdem ergab es sich, dass meine berufliche Tätigkeit zunehmend Open-Source-Bibliotheken involvierte. Private und berufliche Tätigkeiten begannen sich zu überlappen – angestellter Programmierer bei Tag und Open-Source-Contributor bei Nacht sozusagen.

Eine Vision entsteht

Aus der Überlappung meiner beruflichen Tätigkeit und Open-Source-Aktivitäten wuchs die Überzeugung, dass meine Abteilung und tägliche Arbeit noch stärker von Open Source profitieren könnte. Ich sah in einzelnen Teilen des von uns entwickelten Systems sogar das Potenzial, ein erfolgreiches Open-Source-Projekt zu werden.

Euphorisiert von dieser Idee wandte ich mich unvorbereitet und ohne Vorwarnung zwischen Tür und Angel an meinen Chef. Dieser reagierte sehr professionell und politisch, dass die Idee sehr spannend wäre, wir aber zum aktuellen Zeitpunkt keine Kapazität hätten, eine solche Idee auszuarbeiten. Zu dem Zeitpunkt war ich von der Antwort enttäuscht. Rückblickend ist mir allerdings bewusst, dass ich quasi im Vorbeigehen vorgeschlagen hatte, Software, in deren Entwicklung wir bereits Jahre investiert hatten, an die Öffentlichkeit zu verschenken.

In den darauffolgenden Monaten habe ich den Vorschlag immer wieder bei verschiedenen Gelegenheiten eingeworfen, aber es fehlte eine detaillierte Ausarbeitung, wie ein solches Vorhaben umgesetzt werden könnte und welche Vorteile sich daraus ergeben würden. Obwohl ich von meinem Chef wiederholt darin bestätigt wurde, die Idee weiter zu verfolgen, waren ihm in seiner Position die Hände gebunden, weitere Ressourcen bereitzustellen.

Als Weg aus dieser Situation verständigten wir uns darauf, die Open-Source-Idee zum Thema meiner Masterthesis zu machen. Im Rahmen meines berufsbegleitenden Studiums konnte ich die Vision abseits fester Terminpläne ausarbeiten. Mein Chef übernahm die Betreuung der Arbeit innerhalb des Unternehmens und agierte zusätzlich als Zweitprüfer. Im Ergebnis hatten wir die klassische Win-win-Situation: Ich konnte mein Studium mit einem spannenden Thema abschließen und mein Chef bekam die benötigte Ausarbeitung.

Die „Expedition Zukunft“

Im Oktober 2016 fand ein Kreativworkshop namens „Expedition Zukunft“ mit Mitarbeitenden und Externen, um potenzielle Zukunftsfelder für Phoenix Contact zu identifizieren. Auch bei dieser Gelegenheit habe ich versucht, meine Vision entsprechend zu platzieren. Das ist mir auch gelungen, allerdings nicht so, wie ich es erwartet hätte.

Zum Abschluss der „Expedition Zukunft“ wurden Gruppen gebildet und jede Gruppe sollte in einer kleinen Präsentation ihre Vision für die Zukunft des Unternehmens vorstellen. Durch Zufall landete ich in einer Gruppe mit unserem CEO Frank Stührenberg, der auch teilgenommen hat. Im Lauf der Ausarbeitung stellte sich heraus, dass ihn die Open-Source-Thematik ebenfalls fasziniert. Im Rahmen der Gruppenarbeit war es leider nicht möglich, das Thema zu vertiefen, aber ich sah dennoch eine Gelegenheit, meine Idee zu platzieren und das Kapazitätsproblem zu lösen.

In der darauffolgenden Woche nahm ich also meinen Mut zusammen und formulierte eine E-Mail an unseren CEO, den Chef eines Unternehmens mit 2 Milliarden Euro Jahresumsatz. Ich versuchte, meine Vision so gut wie möglich zu schildern und mit Referenzen zu anderen Unternehmen und Projekten zu verdeutlichen. Ich habe den Text vermutlich zehnmal überarbeitet und Korrektur gelesen, deutlich öfter als irgendein anderes Schriftstück in meinem Leben, und ihn letztendlich abgeschickt.

Der Stein kommt ins Rollen

Zwei Wochen nach meiner E-Mail war es erstmal still, aber ich hatte es immerhin probiert. Doch dann kam sie, die Antwort. Während ich total dankbar war, eine Antwort zu bekommen, entschuldigte unser CEO sich sogar für die verspätete E-Mail. Er zeigte Interesse an meiner Idee und schlug einen Termin vor, wenn auch erst im neuen Jahr.

Ein paar Monate später folgte wie angekündigt die Einladung. Ich war beim Abschicken der E-Mail bereits nervös, aber ein Termin allein mit unserem CEO und CTO war eine komplett andere Dimension. Als ich zu dem Termin erschien, musste ich erst noch einen Moment warten und lief im Besprechungsraum am Fenster auf und ab. Ich bin sicher, man hat mir die Nervosität angesehen.

Als Herr Stührenberg den Raum betrat, begann er mit Smalltalk, da wir noch auf den dritten Gesprächspartner warten mussten. Ich weiß nicht mehr, worüber wir gesprochen haben, aber meine Nervosität hatte sich bereits deutlich gelegt. Rückblickend vermute ich, dass das seine Absicht war. Der Termin selbst war alles, nur nicht das, was ich erwartet habe. Es war eine entspannte Atmosphäre, in der ich meine Vision für die Zukunft unserer Software vorstellen durfte.

Und die Moral von der Geschichte?

Wenn man eine Vision hat, dann muss man den Mut aufbringen, sie zu verfolgen. Ich empfehle nicht jedem, sich direkt an den CEO zu wenden. Ich vermute dieser Ansatz funktioniert nur in wenigen, ausgewählten Situationen. Es geht vielmehr darum, im richtigen Moment den Mut zusammenzunehmen, um eine Chance zu ergreifen.

Und was aus meiner Vision geworden ist? Sagen wir einfach, diese Reise ist noch nicht abgeschlossen. Von der nächsten Etappe berichte ich wieder hier im Blog.

Über den Autor

Ich bin direkt nach dem Abitur nach Blomberg gezogen, um ein Duales Studium zu absolvieren, und mittlerweile seit über 10 Jahren bei Phoenix Contact. Beruflich und privat schlägt mein Herz für die Software-Entwicklung und Open-Source-Community. Abseits des Bildschirms verbringe ich die Zeit mit meiner Frau und Tochter oder beim Ausdauersport.

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