5
(6)

Es ist ein Dienstagmorgen im späten November. In der Werkstatt der Lebenshilfe Detmold herrscht konzentriertes Arbeiten und lebhafte Stimmung. Für die Mitarbeitenden stehen in der heutigen Schicht Nistkästen für heimische Waldvögel auf dem Produktionsplan. Aber etwas ist anders an diesem Morgen. Denn an einigen der Arbeitsplätze sieht man junge Menschen in auffälligen maigrün- und türkisfarbenen T-Shirts mit dem Schriftzug „Phoenix Contact“. Was machen Mitarbeitende aus der Elektroindustrie in einer Holzwerkstatt?

Ihre T-Shirts legen nahe: Sie bringen Farbe ins Spiel. Vielfalt, Verschiedenheit, Anderssein. Getreu nach dem Slogan der Lebenshilfe „Es ist normal, verschieden zu sein.“ Heute machen die Azubis und dual Studierenden von Phoenix Contact etwas anderes als sonst: Holz statt Kabel, Leim statt Kontaktklemmen, handgemachte Nistkästen statt industriell gefertigter Schaltschränke.

In einer Ecke des großen Raums schallt Musik aus dem Radio, Akkuschrauber surren, hier und da sind Hammerschläge zu hören. Der Geruch von Holz liegt über den Werkbänken in der modernen Halle. Man merkt gleich: Hier herrscht eine ganz besondere Atmosphäre. „Wir wollen mit dieser Aktion auf das unverzichtbare und wertvolle Engagement von Einrichtungen wie der Lebenshilfe hinweisen“, erklärt Marcel Wessel, Ausbilder bei Phoenix Contact. Gemeinnützige Einrichtungen haben es seit und durch Corona besonders schwer: Nicht nur, weil Sport, Kultur und Jugendarbeit monatelang kaum oder nur eingeschränkt möglich waren und sind. Sondern auch, weil viele Ehrenamtliche aufgrund ihres eigenen Corona-Risikostatus ihr Engagement beendet haben. Darauf aber sind gemeinnützige Institutionen mehr denn je angewiesen: Ohne Ehrenamtliche lässt sich die tägliche Arbeit dort nur sehr eingeschränkt bewältigen.

Selbstbestimmung und neue Perspektiven

Lara Ulrich hilft einer Mitarbeiterin von der Lebenshilfe beim Bauen der Nistkästen

Auch für die Lebenshilfe Detmold leisten Ehrenamtliche wichtige Unterstützung. Schon seit 1962 fördert und begleitet der Verein Menschen mit geistiger, psychischer und mehrfacher Behinderung. Dafür unterhält er Kindertagesstätten, eine Beratungsstelle, Wohnstätten, bietet betreutes, ambulantes Wohnen und betreibt seit 1972 auch eigene Werkstätten. Es ist das erklärte Ziel des Vereins, dass Menschen mit Behinderung ein ihren Fähigkeiten entsprechendes, selbstbestimmtes Leben führen und als gleichberechtigte Partner am sozialen, gesellschaftlichen und beruflichen Leben teilnehmen. Arbeit ist deshalb ein wesentlicher Teil dieser Selbstbestimmtheit.

Gemeinsam mit Ehrenamtlichen, die die Mitarbeitenden der Werkstatt bei ihren Aufgaben unterstützen, werden in der Werre Werkstatt unterschiedliche Produkte gefertigt. Heute übernehmen Azubis und dual Studierende die Aufgabe der Arbeitsunterstützung. Ausbilder Marcel Wessel hat den freiwilligen Einsatz nach Anfrage des Kreises Lippe, der die Initiative „Bau von Nistkästen“ ins Leben gerufen hat, organisiert. „Für uns war es selbstverständlich, bei dieser Aktion dabei zu sein. Vielfalt, neue Perspektiven und Wertschätzung für Menschen und deren Arbeit sind auch für Phoenix Contact wichtige Werte. Und die Idee und das Angebot sind einmalig: Die Auszubildenden und dual Studierenden lernen andere Perspektiven kennen und erleben, dass es normal ist, verschieden zu sein.“

Verstehen und lernen

Die fertigen Nistkästen werden auf dem Weihnachtsmarkt verkauft

Marcel Wessel stieß bei seinen Schützlingen mit dem Aufruf gleich auf offene Ohren. „Die Resonanz war toll“, erklärt er. Am Ende sind 15 junge Menschen in die Werre Werkstatt gefahren, um gemeinsam mit den Mitarbeitenden dort ein Team zu bilden. Das Ergebnis: rund 250 Nistkästen und jede Menge Kontakt, Austausch und ein gemeinsames Erfolgserlebnis.

Lena Godejohann haben die Offenheit und Herzlichkeit im Umgang miteinander an diesem Tag besonders imponiert. Als duale Studentin im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen ist sie gerade im ersten Ausbildungsjahr zur Mechatronikerin. Ihre Erwartung: „Dass wir eine schöne Zeit haben, man in toller Gesellschaft ist und sich kennenlernt“. Das habe sich voll bestätigt. „Es war ein wunderbarer Tag. Ich habe mich mit meinen Teampartnern gut unterhalten. Ich bin mir bei der Arbeit sogar manchmal etwas überflüssig vorgekommen, weil die Mitarbeitenden nur wenig Hilfe benötigten.“ Und noch etwas hat sie beeindruckt: „Ich wusste gar nicht, dass die Arbeit in der Werkstatt der Lebenshilfe so vielfältig ist und die Produkte in so vielen Bereichen eingesetzt werden.“ Unter anderem entstehen dort auch spezielle Hosenträger für die Feuerwehr.

Auch für Tobias Mohr (Duales Studium Wirtschaftsingenieurwesen/Ausbildung zum Mechatroniker) war der Tag in der Werkstatt der Lebenshilfe eine bereichernde Erfahrung: „Die Atmosphäre war ganz entspannt. Wir sind schnell in Kontakt gekommen. So konnte ich meinen Horizont erweitern und habe andere Arbeitsbereiche und -weisen kennengelernt.“

Übrigens: Vom 9. bis 11. Dezember können sich Lipperinnen und Lipper von der Qualität der Zusammenarbeit zwischen Holzexperten und Elektroprofis überzeugen. Dann werden die Nistkästen auf dem Weihnachtsmarkt im Detmolder Schlosspark verkauft.

Von mehr Azubiprojekten berichten wir in diesen Blogbeiträgen:
Klemme trifft Turnschuh: Austauschprojekt mit Adidas
Schlaues Ausbildungslabor mit Emalytics
Löten oder löten lassen? Einem Roboter das Löten beibringen
Der Kick für die Berufswahl

Fotos: Kreis Lippe

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 6

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

2 Kommentare

  1. Avatar-Foto

    Hallo Urs,
    vielen Dank für dein Kommentar. Wir mussten die Azubis gar nicht groß motivieren. Sie fanden diesen Perspektivwechsel total spannend und haben gerne bei dem Projekt mitgemacht.
    Ja, die Aktion fand innerhalb der Arbeitszeit statt, aber wir wollten unsere Azubis die Zeit bewusst einmal nutzen lassen, um ein solches soziales Projekt zu unterstützen. 🙂
    Viele Grüße
    Sophie

  2. Avatar-Foto

    Interessanter Beitrag Dank.
    Interessant wäre natürlich zu wissen, wie Sie die Azubis motivierten da mit zu machen?
    Da es während einer Schicht geschah, gehe ich davon aus, dass die Arbeitszeit bezahlt war.
    Was war das Ziel für die Teamteilnehmer („Team-Building Exercise?“)
    Spannender Bericht
    Freundlichst
    Urs
    DrKPI