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Oder: Wie ich glaube, Blockchain verstanden zu haben

In diesem Beitrag versucht Sven Heißmeyer, euch die Idee von Blockchain zu vermitteln, ohne allzu technisch zu werden. Denn die digitale Transformation stellt uns unerbittlich vor neuartige Fragen: Wem vertrauen wir die vielen nützlichen Daten an, die wir erzeugen? Kann ich morgen auch noch auf für mich wichtige Daten zugreifen? Welche Informationen sind verbindlich und wie kann ich sicher sein, wer das lesen kann?

Industrie 4.0 das ist die Produktion der Zukunft. Alles wird „smart“, nicht nur das „phone“ und die „watch“, auch unser Arbeitsalltag verändert sich im Rahmen der Digitalisierung rasant. Wir halten euch auf dem Laufenden darüber, was die vierte industrielle Revolution eigentlich bedeutet. Anhand von praxisnahen Beispielen, erklären wir, wie wir den Weg der digitalen Transformation Richtung Zukunft beschreiten.

Leben mit der digitalen Achillesferse

Diese Geschichte beginnt in meinen vier Wänden. Ich war vor einiger Zeit auf der Suche nach einem Ersatz für meinen privaten Netzwerkspeicher, denn mein altes Gerät gab den Geist auf. Dabei gingen keinerlei Daten verloren, aber ich fragte mich: Wie kann es sein, dass etwas an genau einer Stelle kaputt geht und dabei das gesamte System für gewisse Zeit lahmlegt? Wie müssten stattdessen Computernetzwerke gestrickt sein, die selbst dann weiterlaufen, wenn Teile davon ausfallen?

Aus meiner Projekterfahrung als Informatiker glaubte ich, die Antwort bereits zu kennen: Bessere Technik, mehr Geld und mehr Aufwand müssen in einen zentralen Supercomputer im Keller fließen. Oder noch besser in irgendeine supersichere Cloud-Lösung. Am besten zu einem großen Anbieter, dessen riesige Systeme nie ausfallen und immer richtig funktionieren. Problem gelöst? Weit gefehlt.

Selbst teure Hardware und wohlbekannte Internetdienste haben immer noch einen zentralen Einstiegspunkt und dieser kann und wird irgendwann mal ausfallen. Das muss gar nicht mal wegen eines technischen Fehlers passieren, vielleicht trifft mich auch ein unbeabsichtigtes Löschen eines Administrators [1] oder mein Cloud-Anbieter beschließt, seinen Service zu ändern [2] oder ganz einzustellen. Wem Achillesferse zu pathetisch klingt, kann hierbei auch von „Single Point of Failure“ sprechen. Mir schwante, dass dieser zentrale Punkt eliminiert werden muss, um bei einem zukunftssicheren, besser noch bombensicheren System zu landen.

Konsensbildung ohne Streitschlichter

Wer erinnert sich an Bitcoin im Jahr 2017? Richtig – damals schaffte es eine nie dagewesene Spekulationsblase am Markt für sogenannte Kryptowährungen bis in die allgemeinen Tagesnachrichten [3].  Abseits der Zockerei begann ich zu diesem Zeitpunkt zu verstehen, was die dahinter liegende Technologie namens Blockchain mit meinem Problem zu tun haben könnte. In beiden Fällen scheint es um wichtige Daten zu gehen, neue private Fotos und geänderte Dokumente bei mir, Überweisungen von seltsamen Wertgegenständen bei Bitcoin.  Und letzteres geschah ohne eine zentrale Bank als Treuhänder, die alles beaufsichtigt und verwaltet. Wie sollte das bitteschön gehen? Und wenn das für etwas Wertvolles wie Kontostände im Bitcoin Netzwerk gelingt, muss das doch auch für einen simplen Haufen an Dateien und Ordnern möglich sein.

In jedem Fall geht es darum, dass sich mehrere Computer, auf der ganzen Welt oder einem Teil davon, auf einen gemeinsamen Datenbestand einigen können.  Als absolute Neuheit schien die Blockchain-Technologie dieses möglich zu machen, selbst wenn die vielen Computer unterschiedlichen Personen und Organisationen gehören (für mein Problem irrelevant) und jederzeit Schaden anrichten können, wenn sie beabsichtigt oder unbeabsichtigt ausfallen (für mein Problem höchst relevant). Dass beide Aspekte tatsächlich sehr eng zusammen gehören, lernte ich erst sehr viel später [4].

Das Geheimnis einer Blockchain ist die Darstellung des Datenbestandes in einer verketteten Liste von Änderungen am Datenbestand, wie beispielsweise eine Überweisung von Konto A auf Konto B. Aus der Zusammenfassung von mehreren Änderungen in einen Block leitet sich unschwer erkennbar auch der Name ab. Die Liste wächst ständig an, weil sich jeder Block auf den Vorhergehenden bezieht – und damit implizit auf alle zuvor erzeugten. Das ist sehr umständlich! Jedoch stellt sich heraus, dass über eine Kette von Ereignissen viel leichter Einigkeit unter mehreren Teilnehmern zu erzielen ist.

Unter Umgehung aller mathematischen Details finde ich das Prinzip bis heute im bekannten Spiel „Koffer packen“ am besten verbildlicht. In jedem Schritt fügt ein Mitspielender bekanntermaßen einen neuen Block der Form „Ich packe ein…“ hinzu, nachdem alle zuvor eingepackten Blöcke wiederholt wurden.  So entsteht eine spielerische Blockchain, die von allen Mitspielenden in jedem Schritt auf Vollständigkeit geprüft wird. Sofort werden Änderungen aufgedeckt und abgewiesen, in denen ein Teil in der Kette fehlt oder zwischendrin eingefügt wurde. Eine einfache Hauptregel sorgt immer für Konsens: Alle Mitspielenden vertrauen der längsten Kette. Das Ergebnis ist, dass alle Mitspielenden den gleichen Spielstand für aktuell halten. Zu einer Blockchain in der echten Welt fehlt dann nur noch, dass jeder Block nur mit echtem Ressourceneinsatz wie Rechenleistung, Speicherplatz oder anderen erzeugt werden kann.

Digitale Transformation im planetarischen Maßstab

Zur gleichen Zeit begannen wir bei Phoenix Contact in einem Leuchtturmprojekt zur digitalen Transformation zu untersuchen, wie wir Daten über Geräte, die sich im Feld befinden, mit unseren Kunden und deren Kunden austauschen können. Diese Daten sind beispielsweise Schaltpläne, Informationen über die Einstellungen am Gerät oder auch Fotos vom Einbauort. Das sind sehr wichtige Daten für unsere Kunden, denn das Vorhandensein vor Ort beeinflusst zum Beispiel auch, wie lange ein Serviceeinsatz benötigt. Viele Parteien ändern diese Daten teilweise unabhängig von- oder aufbauend aufeinander:  Phoenix Contact als Hersteller schlägt beispielsweise Firmware-Updates vor, der Schaltschrankbauer braucht die Daten eines Planungsbüros und der Servicetechniker beim Kunden die zuletzt eingestellte Parametrierung im Feld. Eine zentrale Instanz, der alle Parteien ihre Daten anvertrauen, gibt es in unserer Branche nicht und viele Versuche, eine solche zu schaffen, sind im Sande verlaufen. Spätestens jetzt sollte es klingeln, dass eine Blockchain hier weiterhelfen könnte.

Wir erarbeiteten also fieberhaft erste Prototypen einer Anwendung, mit der wir zwischen mehreren Parteien Daten austauschen und versionieren können, ohne alles einem zentralen System in die Hand zu geben. Wir kombinierten dazu Datenstrukturen zur Versionsverwaltung von Software-Quellcode [5] mit einer im firmeneigenen Intranet laufenden Blockchain [6]. Weil wir meinen, dass sich dieser Aufbau auch im globalen Maßstab betreiben lässt, haben wir es ganz abstrakt PLANET getauft. Derzeit bauen wir auf diesem System Anwendungen für konkrete Branchen, die dann auch griffigere Namen haben. Und aufhören werden wir erst, wenn wir ein System haben, mit dem wir unverfälscht und nachvollziehbar mit jeder Organisation auf diesem Planeten versionierte Daten austauschen können.

Digitale Unabhängigkeit für Unternehmen

Wir sind gewohnt, private wie unternehmensbezogene Daten in die Hände von Dritten zu geben, damit sie anschließend tolle Sachen für uns damit machen. Weil wir Vertrauen in das IT-System dieser dritten Partei haben, nehmen wir die so entstehende Abhängigkeit bewusst oder unbewusst in Kauf. Soziale Netzwerke und Shoppingmarktplätze sind ein prima Beispiel dafür. Praktisch kann aber diese vertrauenswürdige Instanz nach Belieben unsere Daten in unserem Namen verändern (also deren Integrität verletzen), weiterleiten (also Vertraulichkeit verletzen) oder ganz entfernen (also die Verfügbarkeit einschränken).  Was ist jedoch, wenn ich dieses Vertrauen nicht aufbringen kann oder will? Will ich als Unternehmen mein Geschäft direkt von dem Geschäft eines anderen Unternehmens abhängig machen?

Fahrrad SchneeIch konnte erfahren, dass Blockchain hier weiterhelfen kann wie kein anderes Hilfsmittel. Jedes Unternehmen, das auch im digitalen Zeitalter seine digitale Unabhängigkeit bewahren will, sollte auf diese Technik einen Blick werfen. Im Unterschied zu etablierten Marktplätzen auf zentralen Cloud-Lösungen sind direkte Interaktionen zwischen allen Marktteilnehmern ohne Zuhilfenahme eines Vermittlers möglich. Das sollte digital befreiend und keinesfalls einschüchternd wirken.  Sogar in der Gesetzgebung ist das Thema mittlerweile angekommen [7].

Zurück zum Ausgangspunkt: Ironischerweise nutze ich im privaten Umfeld mittlerweile eine Software zum Synchronisieren von Daten, die ganz ohne Blockchain auskommt [8]. Was Änderungen, Komplexität und Herausforderungen angeht, machen Produkt- und Gerätedaten einfach mehr her als meine Fotosammlung.

Quellenangaben

[1] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/aws-serverausfall-amazon-mitarbeiter-legte-mit-tippfehler-teile-des-internets-lahm/19468246.html?ticket=ST-1575017-PLX0sfMWqseSeTUg5JMm-ap4

[2] https://www.golem.de/news/azure-microsofts-deutsche-cloud-wird-eingestellt-1809-136364.html

[3] https://www.zeit.de/2017/51/bitcoin-blockchain-digitalwaehrung-kryptowaehrung-hype-blase

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Byzantinischer_Fehler

[5] https://git-scm.com/

[6] https://ethereum.org/

[7] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/digital-made-in-de/blockchain-strategie-1546662

[8] https://syncthing.net/

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